Haus Neiling

Neubau in Hoppenrade bei Berlin. Entwurf: Peter Grundmann 2004

Das Haus Neiling in Hoppenrade bei Berlin erscheint auf den ersten Blick als willkürliche Zusammenstellung widerstrebender Teile.

Geplant für zwei Personen, der Bauherrin und deren Bruder, sollte es sowohl maximale Distanz und Eigenständigkeit der Bewohner als auch eine enge Verbindung im Alltag ermöglichen. Hinsichtlich der Gestaltung bot die Umgebung kaum Anhaltspunkte.

Der Entwurf startete daher als bewusste Überinterpretation des inneren Kontexts; entworfen wurde dementsprechend nicht ein Haus, sondern drei, mit jeweils unterschiedlichen Raumkonzepten und Atmosphären. Haus 1 und 2 wird durch die privaten Wohnbereiche der beiden Bewohner bestimmt. Sie folgen ganz den Bauvorschriften, orientieren sich orthogonal zur benachbarten Bebauung und zur Straße. Haus 3, der gemeinsame Wohn- und Essbereich, kann dafür frei moduliert werden. Es ist räumlich eher als Weg gestaltet. Lang gestreckt legt er sich über das Grundstück, berührt möglichst viel Boden, weicht den Bäumen aus, dreht sich, rundum verglast, zur Sonne und bildet geschützte Außenbereiche. Dieser mäandrierende, transparente Raum, der den Wohnraum als Teil der umgebenden Natur definiert, schafft eine subtile Atmosphäre, die gleichzeitig mit einem Vexierspiel aus Transparenzen, Innen-/Außenbezügen verunsichert und somit den Innenraum als Schutzraum in Frage stellt.

Drei eingestellte Betonkuben gliedern den Raum, wobei Küche und Essbereich die Mitte definieren und sich an den Enden die beiden Wohnräume der Bewohner befinden. Haus 2, der sichere Schlaf und Arbeitsbereich der Bauherrin, ist um ein Geschoss angehoben. Es wirkt leicht, insgesamt ein großes Rohr aus Fachwerkträgern, geöffnet an den Enden, aufgelagert auf 2 gespreizten Stielen und einem Rumpf aus Beton, der je nach Windverhältnissen mal gezogen, mal gedrückt wird. Rundum, außen wie innen, ist es mit weißen Kunststoffplatten verkleidet. Die dahinter liegende rote Folie lässt das Haus je nach Lichtverhältnissen mal mehr mal weniger rosa erscheinen. Seine Leichtigkeit gewinnt Haus 2 durch ein Spiel mit der Tiefe der Oberfläche, deren Charakter sich im Tages- und Jahresverlauf ständig verändert. Während nördlich die farbig gefüllte Kleiderkammer durchscheint, durchbricht an der Südseite die mit weiß mattiertem Glas verkleidete Badewanne die Kontinuität der Wand.

Haus 1 besetzt den Platz des alten Hauses. Es ist massiv aus Stein, nach innen gerichtet, geöffnet nur zum Stellplatz und zum Wohnraum im Haus 3. Zusätzliche Ausblicke ergeben sich nach innen, denn Bad, WC und alle Öffnungen in der Steinfassade bestehen ganz aus milchig trüben Glaswänden, auf denen sich Licht und Schatten von innen und außen abbilden.

Die 3 Häuser werden unabhängig von einander geformt und treten anschließend ohne größere Korrektur in Kontakt. Dadurch ergeben sich ästhetische Situationen, deren Wirkungen nicht vollständig vorbestimmt werden können. Diese Montage schließt eine enge Intention des Entwerfers ebenso aus wie das Erfassen des Bildes nur über das Auge. Erst die Gedanken des Betrachters setzen das Bild zusammen und gewährleisten einen breiten Interpretationsspielraum. Während sich, von der Straße gesehen, Haus 1 und 2 sehr nahe stehen und deutlich dominieren, wirken sie vom Garten eher zurückhaltend und weit voneinander entfernt. Hier entfaltet der verbindende „Weg“ eine größere Präsens. Der massive geschlossene Baukörper, die schwebende „Röhre“ und der weit ausladende transparente “Weg” formulieren jeweils ein eigenes Wohn- und Raumkonzept mit spezifischen Atmosphären. (Text erschienen in archplus 178, S. 38 – 41, Juni 2006)

Geländer und Teile des Innenausbaus wurden selbst ausgeführt. Die Montage der Glasfassade erfolgte mit nachbarschaftlicher Mithilfe.

Photos © Peter Grundmann



◁   △